Hier findet ihr den Redebeitrag von Sultana Sediqi, die bei unserer Demo zur Innenminister*innen-Konferenz insbesondere die EU-Asylreform und das Sterben lassen im Mittelmeer kritisiert hat:
Ich habe so viel Angst, auf dem Meer zu sein. Doch ich hatte keine andere Option als über das Mittelmeer zu fliehen. Ich wollte leben und frei sein.” Sara, Geflüchtete aus Eritrea
“Ich dachte, Europa würde uns helfen, aber sie haben uns vergessen.” – Fatima, Geflüchtete aus dem Jemen
“Ich musste alles zurücklassen, meine Familie, meine Heimat, meine Träume. Ich hatte keine Wahl.” – Salma, geflüchtet aus Afghanistan
“Ich habe in meinem Leben noch nie so viel Gewalt und Leid gesehen wie auf meiner Flucht nach Europa.” – Ali, Geflüchteter aus dem Irak
“Wir sind keine Zahlen, wir sind Menschen, die Hilfe brauchen.” – Khadija, Geflüchtete aus Syrien
Das sind Worte all jener Menschen, die trotz der unvorstellbaren Gefahren sich auf den Weg nach Europa machen. Worte junger Seelen, die erfüllt von Hoffnung und dem Wunsch nach einem besseren Leben waren.
Ihr lieben, ich war selbst in Griechenland auf einem Friedhof. Die Menschen, Kleine Kinder werden dort begraben – vorausgesetzt ihre kleinen unschuldigen Körper werden überhaupt aufgefunden. Man sieht eine endlose Masse an Gräbern von Meschen, deren Namen unbekannt und dessen Schreie ungehört bleiben – nein falsch, sie werden gehört und dennoch trifft das bei dieser Politik und Gesellschaft auf Gleichgültigkeit. Es wird genau hingehört und dennoch weggesehen und das – das ist so viel schlimmer.
Ihr lieben, ich bin Sultana und heute aus Erfurt angereist. Noch nie im Leben war ich als Mensch und als Aktivistin konfrontiert von einer so großen schmerzlichen Ohnmacht und Hoffnungslosigkeit, wie die letzte Zeit. Ständig frage ich mich, wie ich weitermachen – weiterkämpfen und mich durch eine Zeit navigieren soll, in der alles zu kollabieren scheint. Ich frage mich, wie wir ehrenamtlich uns für eine bessere Welt einsetzten können, wenn diejenigen im Hauptamt sie mit jedem weiteren Tag willentlich zerstören.
Am 08. Juni versammelten sich die EU – InnenministerInnen in Brüssel, um eine Reform des gemeinsamen europäischen Asylsystems, zu bewilligen. Eine Reform, die die bereits vorhanden Verstöße gegen das Recht auf Asyl weiter ausbaut und damit ein weiterer von unermesslicher Gewalt geprägter Angriff auf all diejenigen ist, die bereits Leid und Not ausgesetzt sind. Durch die neue Reform werden nicht nur Menschenrechte ignoriert oder gebrochen. Es wird auch ein klares Signal gesendet, dass Deutschland nach 30 Jahren immer noch nicht gewillt ist, seiner Verantwortung gegenüber Schutzsuchenden nachzukommen.
Wer diese Reform unterstützt, seien es PolitikerInnen oder anderweitige Menschen aus der Gesellschaft, nimmt Folter, grundlose Inhaftierung, Entwürdigung und Mord in Kauf, um Menschen fernzuhalten, die vor Krieg, Folter und Verfolgung fliehen – um Menschen fernzuhalten, die uns weniger fremd sind, als wir glauben.
Und dabei ist es tief enttäuschend, dass die SPD – eine Partei, die sich dafür deklariert, soziale Gerechtigkeit zu fördern, sich ohne jegliche Bescheidenheit an einer Reform beteiligt, die den Zugang zum Recht auf Asyl versperren und gewaltvolle Pushbacks legalisieren möchte. Nancy Faesers Zustimmung bedeutet eine Aushebelung des Flüchtlingsschutzes, eine Aushebelung der Menschenrechts Konvention und eine Verletzung grundlegender Menschenrechte, eine Verletzung der Rechtsstaatlichkeit. Es bedeutet, dass die gravierenden Fluchtgründe außer Acht gelassen und Schutzsuchende stattdessen in unsichere Drittstaaten abgeschoben werden. Es bedeutet eine Verschärfung des Dublins.
Deutschland geht damit als Zerstörer eines Menschenrechtsschutzsystems in die Geschichte ein. Wir reden von einem Entrechtungssystem, das die Grundlagen der EU als demokratischen Rechtsstaat am Beispiel Asyl zerstört.
Während ein 100 Milliarden schweres Sondervermögen für die Bundeswehr aus dem Nichts beschlossen wurde, lässt sich die Bundesregierung nur eine Milliarde mehr für Geflüchtete mit Müh’ und Not abringen. Es ist ein Armutszeugnis für die Ampel – für die »Fortschrittskoalition«. Flucht und Migration werden eine Daueraufgabe bleiben, das haben die Regierenden verstanden. Doch statt flexibler Kapazitäten in den Kommunen zu schaffen, Verfahren zu vereinfachen, Auflagen für Geflüchtete zu lockern – Vorschläge, die Menschenrechtsorganisationen seit Jahren machen umzusetzen –, setzen die Regierungschefs nun alles darauf, die Einreise von Asylsuchenden zu verhindern.
Und sie sagen, es sei zu unserem Schutz. Was verdammt will Europa schützen?
Europa – Deutschland hat damit bewiesen, dass es bereit ist auch weiterhin über Leichen zu gehen. Es ist beriet über Leichen von unschuldigen Kindern zu gehen, um ihren Wohlstand zu schützen. Und sie haben diesen Wohlstand, weil sie sie seit Jahrhunderten auf der Zerstörung anderer bauen! Das Einzige, was Europa schützen will, ist sein Reichtum!
Und anstatt Fluchtbewegungen als logische Konsequenz eines Jahrhunderts der Unordnung und Herrschaft zu verstehen und zu versuchen, menschliche Lösungen auf diese Gegebenheiten zu finden – bemühen sie die Regierenden weitere Schranken zu bauen!
Wieso tun die Verantwortungsträger immer so, als gehöre Europa ihnen? Wer gibt euch das Recht dazu über das Leben und den Tod so vieler Menschen zu entschieden? Wenn es euer Jurastudium, euer Schulabschluss, eure widerliche Eloquenz ist – wenn es diese Demokratie ist, die euch dieses Recht gibt, dann zur Hölle damit!
Als genüge all das nicht, erwartet die wenigen Menschen, die die Gefängnisse, Folter und tödlichen Grenzen Europas überleben, die es trotzdem noch nach Deutschland schaffen, ein Leben in Lagern. Auch hierzulande sind sie nicht sicher vor Rassismus & Diskriminierung. Die Entwürdigung und Entrechtung haben einfach kein Ende.
Die Aufnahme von Schutzsuchenden und die Asylverfahren werden immer weiter verschoben in ein abgegrenztes bürokratisches System fern zivilgesellschaftlicher Kontrolle. Weltweit werden Schutzsuchende zwangsweise in Lagern untergebracht – oft jahrelang. Ich habe zwei Jahre nach unserer Ankunft in einem Lager leben müssen und meine Kindheit sehr früh verloren. Wir alle betroffene wissen von der Videoüberwachung, den dauernden Kontrollen, der Ausstellung von Duldungen oft für nur wenige Tage, den ständigen Befragungen und der eingeschränkten Gesundheitsversorgung ein trauriges Lied zu singen.
Was schönfärberisch Gemeinschaftsunterkunft, Erstaufnahmeeinrichtung oder Ausreisezentrum genannt wird sind Zwangsunterkünfte und Lager, wo das Leben für die BewohnerInnen, insbesondere für Kinder äußerst zermürbend und belastend ist.
Eine Bewohnerin aus dem Lager sagte einmal zu mir: Wir wohnen zusammen in einem Zimmer. Mir geht es psychisch nicht gut. Die Situation macht mich kaputt. Ich fühle mich unsicher. Die Kinder haben Probleme mit Husten. Das kommt von dem alten Teppich, der im Zimmer liegt. Die Luft ist dadurch schlecht. Der Teppich schimmelt. Vom Lager bekommen wir aber keinen anderen. Sie sagen, das sei zu teuer. Jeder Tag ist wie der vorherige.
Dieses vegetierende Leben macht die Leute krank, nicht physisch, sondern seelisch krank. Dieses Warten ohne Ende, man verliert die Richtung, man hat kein eigenes Leben, ich weiß nicht, was mir die Zukunft bringt, ich weiß nicht, ob ich eigentlich eine Zukunft habe, ich habe fast alles verloren und würde gerne noch mal anfangen, aber dort verliere ich manchmal die Hoffnung.
Ihre Erfahrungen mit dem Leben in einem Lager spiegeln das alltägliche Leben so vieler weiterer Menschen und auch Kinder wider. Ihre Erfahrung macht deutlich, dass Lager, mit ihrer strukturellen Entrechtung und Isolation, sich damit in ein System einfügen, das die ganze EU und deren Außengrenzen umfasst. Seit Jahren sehen wir auch, wie Sammellager eine besondere Angriffsfläche für faschistische Gewalt bieten und die Sicherheit der Betroffenen gefährden.
Sammelunterkünfte sind dabei – anders als die Politik behauptet – nicht alternativlos. In vielen Regionen Deutschlands, gerade im Osten der Bundesrepublik, gibt es einen großen Leerstand von Wohnungen. Vielerorts wäre eine dezentrale Unterbringung von Geflüchteten möglich. Diese Option wird aber nicht gezogen, weil sie politisch nicht gewollt ist.
Ausgrenzung, Repression und Isolation – das ist jedoch politisch gewollt. Die Hoffnung vieler politischer Verantwortlicher ist, dass sich die Geflüchteten nur temporär in ihren Bundesländern und Landkreisen aufhalten. Also wird alles getan, damit sie auch nicht bleiben werden.
Dabei – mal ganz unabhängig jeglicher Menschlichkeit – ist dieses Land auf Migration angewiesen. Allein in meinem Umfeld gibt es unzählige junge Menschen, die sich mit viel Müh versuchen ein Leben aufzubauen, sie lernen die Sprache und möchten eine Ausbildung beginnen. Es gibt ebenso unzählige Menschen, die bereits hochqualifiziert sind und seit Jahren aber auf die Anerkennung ihrer Papiere warten.
Diese Politik scheint allerdings die Notwendigkeit der Anwesenheit und Förderung dieser Menschen nicht verstanden zu haben, denn während wir einen Fachkräftemangel zu verzeichnen haben und die Regierung in andere Länder reist, um nach Fachkräften zu werben, wollen sie zeitgleich ebenso ein Abschiebezentrum direkt am Berlin – Brandenburger Flughafen bauen. Sie schieben also Menschen gewaltvoll ab und degradieren auf der anderen Seite diese in ihren rassistischen Diskursen als nützlich für den wirtschaftlichen Aufbau. Diese Doppelmoral ist doch einfach nur widerlich.
Heute stehen wir hier in Berlin und wollen Sie fragen, Frau Faeser, wie ist das mit dem von ihnen aufstellten Koalitionsvertrag vereinbar? Wie kann es sein, dass sie solch eine Brutalität der Gewalt verantworten?
Finden sie nicht, dass wir viel zu lange schutzbedürftige Menschen entrechtet haben, sie an den Grenzen erfrieren, verhungern, auf den internationalen Gewässern ertrinken und bewusst sterben lassen haben? Finden sie nicht, dass wir viel zu lange Menschen, die durch Kämpfe, Angst und trotz Repression es hierhergeschafft haben, langwierige Asylverfahren durchstehen lassen haben? Finden Sie nicht, dass wir schon viel zu lange die, „die wir brauchen” Arbeitsverbote, Duldungen und gewaltvolle Abschiebungen aufgezwungen haben? Wir viel zu lange die Länder, aus denen die meisten fliehen, mit Waffen beliefert, sie ausgebeutet und für unsere Profite instrumentalisiert haben?
All das, um uns fernzuhalten?
Wir sagen. Es reicht. Wir brauchen endlich eine gemeinsame europäische Antwort, eine, die einen Unterschied macht, eine, die Menschen davor bewahrt, zu sterben. Eine, die Menschenrechte in den Fokus stellt und die Demokratie verteidigt. Dafür stehen wir alle gemeinsam ein. Wir appellieren an die Regierung: Habt endlich den Mut zu einer antirassistischen Politik!
Und die Politik kann sich eines sicher sein: Das bleiben nicht nur Forderungen. Wir nehmen die Dinge selbst in die Hand. Wir bleiben und wir werden kämpfen. Wir werden radikal solidarisch gegen die Festung Europa und gegen die menschenverachtende Abschiebepraxis kämpfen. Wir geben nicht auf, bis wir eure kapitalistisch begründete Abschottung, bis wir die menschenunwürdige Unterbringung in Lagern für Menschen mit Flucht- und Migrationserfahrung abgeschafft haben. Wir hören nicht auf laut zu sein, bis wir die Utopie eine bessere und gerechte Welt war werden lassen haben.
Wir werden kämpfen, bis wir alle Grenzen Europas durchbrochen haben!