PRO ASYL, die Landesflüchtlingsräte und „Jugendliche ohne Grenzen“ fordern anlässlich der Innenministerkonferenz vom 1. bis 3. Dezember 2021 einen umfassenden Abschiebestopp sowie die sofortige Fortsetzung der Aufnahme Schutzsuchender aus Afghanistan.
Aufgrund der grassierenden Pandemie müssen die Innenminister*innen auf ihrer Konferenz einen generellen Abschiebestopp verhängen. Abschiebungen während der Pandemie sind unverantwortlich und gefährden Menschenleben. Insbesondere nach Syrien und Afghanistan kann wegen der anhaltend katastrophalen politischen und wirtschaftlichen Lage nicht abgeschoben werden – in diesen Ländern herrschen Krieg und Terror.
Bleiberechtsregelungen umsetzen
Die Ampel-Koalition hat erfreulicherweise beschlossen, eine Bleiberechtsregelung zu schaffen. Das neue „Chancen-Aufenthaltsrecht“ will „Menschen, die am 1. Januar 2022 seit fünf Jahren in Deutschland leben, nicht straffällig geworden sind und sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekennen“ eine einjährige Aufenthaltserlaubnis auf Probe ermöglichen, „um in dieser Zeit die übrigen Voraussetzungen für ein Bleiberecht zu erfüllen“ (Seite 138 Koalitionsvertrag). Aber:
„Wir befürchten eine Abschieritis einzelner Ausländerbehörden und Bundesländer, die ungeachtet der Pandemie und der kommenden Regelungen Fakten schafft, wo immer möglich. Dazu darf es nicht kommen“, sagt Günter Burkhardt, Geschäftsführer von PRO ASYL. „Deshalb sollten sich die Länder auf der Innenministerkonferenz auf eine Vorgriffsregelung einigen, die dafür sorgt, dass niemand abgeschoben wird, bevor die neue Bleiberechtsregelung in Kraft tritt.“ Die Menschenrechts-organisationen appellieren an Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius und an Joachim Stamp, stellvertretender Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen, ihre Kolleg*innen von einer solchen Vorgriffsregelung zu überzeugen.
Abschiebestopp nach Afghanistan und Syrien
Gemeinsam mit den Landesflüchtlingsräten und „Jugendliche ohne Grenzen“ appelliert PRO ASYL anlässlich der Innenministerkonferenz (IMK) an die Länder, parteiübergreifend die Realitäten in Afghanistan und Syrien anzuerkennen. Es ist angesichts der Machtübernahme der Taliban unerlässlich, dass die Innenminister*innen einen Abschiebestopp für Afghanistan erlassen. „Es reicht nicht aus, dass Abschiebungen nach Afghanistan derzeit lediglich ausgesetzt sind. Es ist unabsehbar, wie lange die Taliban an der Macht sein werden und ihre als „verwestlich“ geltenden Landsleute, die nach Afghanistan abgeschoben werden, bei einer Rückkehr verfolgen“, betont Seán McGinley vom Flüchtlingsrat Baden-Württemberg. Die Menschenrechtsorganisationen fordern einen offiziellen Abschiebestopp im Sinne von § 60a Abs. 1 AufenthG, um Ausreisepflichtigen Sicherheit zu vermitteln.
„Die rund 30.000 afghanischen Staatsangehörigen, die hier leben und die in früheren Asylverfahren keinen Schutz zugesprochen bekommen haben, brauchen jetzt ein gesichertes Bleiberecht“, ergänzt Jibran Khalil, Sprecher von „Jugendliche ohne Grenzen“. „Nur mit einer langfristigen Perspektive können diese Menschen, unter denen viele junge Männer und Frauen sind, in Ruhe Arbeit finden, studieren oder eine Ausbildung absolvieren ohne die ständige Angst und Ungewissheit, die mit einer drohenden Abschiebung einhergehen.“
Auch die Lage in Syrien ist weiterhin dramatisch, wie Berichte von Menschenrechtsorganisationen verdeutlichen. Amnesty International hat zahlreiche Fälle von Männern, Frauen und Kindern dokumentiert, die nach einer Rückkehr nach Syrien schwerste Menschenrechtsverletzungen durch den syrischen Geheimdienst erfuhren. Auch Human Rights Watch legt dar, dass Syrer*innen, die in ihre Heimat zurückkehren (müssen), willkürlich inhaftiert, gefoltert oder vergewaltigt werden. Es widerspricht dem Völkerrecht, in solche Staaten abzuschieben. Das zeigt eindeutig, dass das Auslaufen des Abschiebestopps für Syrien im letzten Jahr falsch war und ein solcher Stopp menschenrechtlich geboten ist.
Aufnahme aus Afghanistan fortsetzen
Es ist zu begrüßen, dass die künftige Regierung Bundesaufnahmeprogramme für besonders gefährdete Afghan*innen vorsieht. In Gefahr sind auch Afgha*innen mit familiären Bindungen nach Deutschland. Es ist unverständlich, dass bisher ein großer Teil der Bundesländer nicht bereit ist, ein Landesaufnahmeprogramm zu realisieren, um diesen Familienangehörigen von in Deutschland lebenden Afghan*innen Schutz zu bieten.
PRO ASYL, Landesflüchtlingsräte und Jugendliche ohne Grenzen fordern: Die im Koalitionsvertrag beschlossenen Gesetzesänderungen müssen jetzt in einem 100 Tage-Programm gesetzlich auf den Weg gebracht werden, ebenso eine Fortsetzung der Aufnahme besonders schutzbedürftiger Afghan*innen und ihrer Familien.
Weitere Forderungen von PRO ASYL finden Sie hier; eine Stellungnahme zur IMK, die unter anderem von Jugendliche ohne Grenzen und den Flüchtlingsräten getragen wird, hier.